»Der Beat ließ früher immer die Regentropfen während Ampelphasen auf der Motorhaube hüpfen.«
[8] Nach einer knappen Woche stellt sich inzwischen das Gefühl ein, angekommen zu sein, die eigenen Rhythmen zu synchronisieren mit den Rhythmen der Stadt. Am morgen zum Frühstück nach Tribeca, ins Bubby's, dem bisher schönsten Frühstückscafe. Es ist relativ ruhig, kaum Wochenende-Hektik, ich bekomme einen eigenen Tisch, die Karte liest sich gut, ich bestelle Pancakes und Kaffee. Von hier sind es etwa 15 Minuten bis SoHo, der Weg lohnt sich, das permanente Gefühl, praktisch noch nichts von der Stadt gesehen zu haben, alles sehen zu wollen, kurzer Gedanke an die Geschichte von dem Mann im New Yorker vor ein paar Jahren, der alle Strassen Manhattans systematisch abgegangen ist. Wieder Kaffee bei Olive's, der sehr gut ist. Inzwischen gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Kaffee-Läden dort in der Nachbarschaft, die sehr schön sind. Once Upon a Tart zum Beispiel macht fantastische Madeleines. Überhaupt gefällt mir SoHo nach wie vor sehr gut, die großen flagship stores, die schönen Häuser, immer eine gute Mischung zwischen warehouse und loft, zwischendrin ein mexikanischer Premium-Burrito-Truck. In der Dämmerung dann endlich mit dem L-Train von der 14th street in Richtung Brooklyn, Station Bedfore Avenue, ich muss an 2007 denken, ich gehe sofort zu Spoonbill & Sugartown, dem schönsten Buchladen der Welt, die Katze lebt noch, es hat sich eigentlich kaum etwas verändert. Der Mann an der Kasse gähnt, ich bezahle und schaue mir noch ein bisschen die Nachbarschaft an und fahre zum Union Square, ein kleines Thai-Restaurant, ein unglaublich gutes Curry, noch ein letztes Mal den Skateboardern zuschauen, es ist inzwischen dunkel, alles bewegt sich.
[7] Den Tag ein bisschen zu spät bei Westville East an der Bar begonnen, daher also einen Burger mit french fries und Kaffee, die Sonne scheint und entschliesse ich mich, mit dem Zug die knappe Stunde nach Coney Island zu fahren. Vorher noch die kiloschwere Sonntags-Times am Kiosk für fünf Dollar, dann in den Zug, der sich nach und nach leert, in der Times ein Artikel über Pretty Woman versus Thelma & Louise als role model-Filme, natürlich setzte sich schliesslich Pretty Woman, unter anderem in Form von Sex and the City, als Modell von Konsum und Glück, durch. Der Zug ist wie alles in der Stadt wahnsinnig laut, zischt und rattert und knarrt, irgendwann steigt eine Gruppe junger Frauen ein, die aufgeregt ihrem Sonntag im Vergnügungspark und am Wasser entgegensehen, an der Station telefoniere ich noch kurz mit meiner Mutter, folge anschliessend den Menschen in Richtung Pier, muss an die Sopranos denken, die Traumsequenz am Pier, die hier gedreht wurde, an Seinfeld, die Episode mit dem sprechenden Bauchnabel und Jerry, wie er diesen Pier entlangläuft. Die Atmosphäre ist sehr angenehm, gelöst, freizeitlich, ich sehe kaum Touristen, viele Familien, ein paar davon lassen am Strand Drachen steigen. Von Weitem sieht man Manhattan im Dunst, es ist ein bisschen windig, aber nicht unangenehm. Ich beobachte heimlich zwei Männer, ein Paar, die sehr glücklich wirken, sich gegenseitig fotografieren und lachen. Am Abend regnet es wieder, ein paar Stationen downtown zu Supper, Sonntags gibt es dort Risotto Milanese, dazu Orangenlimonade. Im Regen riecht die Stadt natürlich anders, nicht schlechter, nur anders. Am Tresen kann man den Köchen bei der Arbeit zusehen, es sind wie immer hauptsächlich Latinos, ein Kellner spricht mich auf das New Yorker Wetter und den Regen an, im Hintergrund läuft in diesem Moment gerade zufällig Rihannas Umbrella, wir lachen beide kurz, dann lese ich den Rest der Zeitung. Spannende Artikel über die Zukunft von Datenanalyse und Dating mit Hilfe von World of Warcraft. Ich muss kurz an die Brooklyn Bridge denken, auch hier wieder der Blick auf Manhattan, das Wasser und im Hintergrund die Freiheitsstatue. Nach dem Essen hat der Regen inzwischen etwas nachgelassen, ich entschliesse mich für Eis und Kaffee im Laborartorio del Gelato, einem Laden wie aus dem Hipster-Bilderbuch, alles in weiss und ohne Tische, nur ein paar Stahlbänke in den Fenstern, kein Italo-Kitsch. Das Eis ist fantastisch, unglaublich, das beste Eis, dass ich je gegessen habe. Ich überlege kurz, es dem Mann hinter dem Tresen zu sagen, traue mich dann aber doch nicht. Mit dem Kaffee durch den Regen zurück zum Hotel, satt, glücklich, entspannt.
[6] Am morgen regnet es in Strömen, T. und B. und ich fahren also mit dem Taxi durch den Regen zu Peels um kurz vor zehn, der Laden ist von Aussen angenehm unscheinbar. Als wir ankommen, ist es noch relativ leer, wir bekommen also direkt einen Platz, es ist etwas ruhiger als sonst, ich wundere mich kurz, denke mir dann aber nichts weiter, bis ich später feststelle, dass es neben dem unteren auch noch ein oberes Geschoss gibt, dass auch um zehn schon bis auf den letzten Platz besetzt war. Überhaupt: wie voll es in Restaurants und Bars und Cafes zu jeder Tages- und Nachtzeit ist, und wie laut auch. Der Kaffee ist fantastisch und der Brownie auch und das grilled-cheese-toast auch und nach dem Essen machen wir uns auf den Weg in die Stadt, T. und ich. Das Met ist voll, im Erdgeschoss bekommt T. von einem freundlichen Angestellten den Tipp, doch die sanitären Anlagen im Untergeschoss aufzusuchen, sagt er und lacht dabei, denn diese seien zu dieser Uhrzeit aller Wahrscheinlichkeit nach in einem besseren Zustand. Die Sonderausstellung über das Fenster in der europäischen Romantik gefällt mir gut, die Begleittexte sind informativ, die Bilder gut gewählt, als Aufmacher dient wie zu erwarten war Caspar David Friedrich, wir schauen uns noch die alte europäische Malerei an und machen im Anschluss einen langen Spaziergang durch den Park, T. erzählt von der Hochzeit und der Ehe und später treffen wir B., kaufen mehr Kaffee und machen einen Spaziergang auf der High Line Richtung Uptown. Besonders der Teig bei Co. ist fantastisch, obwohl auch der Rest der Pizza sehr gut war. Wichtiges, neu gelerntes Wort in diesem Zusammenhang: arugula, den ich eigentlich gar nicht unbedingt mag. Nach dem Essen ist die High Line nun beleuchtet, das Wetter freundlicher, die Sonne geht unter über Hoboken auf der anderen Seite, wir trinken noch einen Wein im Cafe des Hotels, ich verabschiede mich von den beiden und trinke noch mehr Wein in der Bar, die obligatorische Ausweis- und Einlasskontrolle, die Bar im schummerigen Licht und mit schlechter Musik, vor dem Schlafengehen noch kurz an den Fluss, Jersey leuchtet.
[5] Frühstück mit A. im Standard Grill. A. wohnt mit seinem Mann, den zwei Kindern und dem Hund in einem dreistöckigen Haus mit Garten (!) im Village, dass vor zwei Jahren komplett umgebaut worden ist. Die Haustür ist rot und extrem schön, genauso wie die offene Küche mit Kamin und das Lesezimmer mit Fernseher im zweiten Stock und das Badezimmer mit Fliesen aus Metall und das Spielzimmer der Kinder im dritten Stock. Der Hund liegt ruhig und friedlich auf dem Teppich im Wohnzimmer, A. erzählt vom Umbau des Hauses, von der Nachbarschaft, zeigt mir Fotos von den Kindern. Der Standard Grill ist sehr voll, überall wird immer gegessen, gefrühstückt, geluncht, gebruncht, dinniert. Nach dem Frühstück auf die High Line, der Blick auf den Fluss, die schöne Bepflanzung der Strecke, überhaupt die gesamte High Line, was für eine fantastische Idee. Die zweite Teilstrecke soll demnächst eröffnet werden. Zwischendurch noch zum Chelsea Market, der schönsten Einkaufspassage Manhattans, für später die ersten Macaroons meines Lebens gekauft, vier verschiedene Sorten, grün, rot, weiß und gelb, frisches Brot, überhaupt: amerikanisches Brot.
[6] Die New York Public Library ist schön und voller Menschen, im Lesesaal verbringe ich eine knappe Stunde mit Jonathan Lethems Chronic City. Später Kaffee in der Nachbarschaft bei 'snice, ein Mann schreibt an einem Tisch mit Stift und Papier an einer Kurzgeschichte, die Sandwiches sind zu grossen Teilen vegetarisch, der Kaffee extrem lecker. Im Hotel ein anderes Zimmer, dieses nun im fünften Stock, Schiffskabine, on the road.
[3] Von Unten nach Oben, sechs Stationen, am Aufgang 5th Avenue und 53rd Street ist immer Stau, links Gehen, rechts Stehen, dieses Prinzip funktioniert hier perfekt, Forever 21, in den 10. Stock, in der Mittagspause kurz auf die Straße, es ist inzwischen noch viel lauter und voller geworden, der Mann mit der schönen Brille und der roten Hose lächelt mir zu, ich lächle zurück, von hier aus sehe ich den Park.
[4] Whole Foods am Columbus Circle, es ist schon dunkel, das Geschäft hat bis elf geöffnet, es ist noch sehr voll, der Laden ist gigantisch gross, es gibt scheinbar alles: einen Fleischer, Wein, Käse, eine Salatbar, eine bakery, einen Pizza-Ofen, frisches Gemüse. Ich erinnere mich an den Joghurt, den ich vor drei Jahren regelmässig zum Mittag gekauft habe, Garden State, Route 1. Die Idee der lobby, der doorman, nicht die Doorfrau, W 59th St, eine Lobby mit Konzertflügel, eine Lobby mit frischen Orchideen, eine Lobby mit Le Corbusier-Stühlen. Was ist das Prinzip der Lobby?
»To live in Manhattan is to be persistently amazed at the worlds squirreled inside one another, the chaotic intricacy with which realms interleave, like those lines of television cable and fresh water and steam heat and outgoing sewage and telephone wire and whatever else cohabit in the same intestinal holes that pavement-demolishing workmen periodically wrench open to the daylight and to our passing, disturbed glances.«
[1] Noch schnell alles aufschreiben, bevor ich es wieder vergessen habe. Im Hintergrund das sonore Brummen der Klimaanlage und die Autos auf der West St. Von meinem Fenster aus kann ich die Freiheitsstatue sehen, die von Weitem und von Nahem sehr klein wirkt. Das Flugzeug heute in Frankfurt ein Airbus A380, ein sehr neues Modell, vom letzten November, zweistöckig, mit neuen Sitzen, sehr bequem, keine anstrengenden Nachbarn. Im Unterhaltungsprogramm liefen 30 Rock, Mad Men, Modern Family und Glee. Während des Fluges scheinbar ganz neue Qualitäten an diesen Serien entdeckt, bisher verborgen gebliebene Seiten, insbesondere bei Mad Men. Nach der Landung das sofortige Gefühl, hier richtig zu sein, spätestens dann im E-Train Richtung 14th Street, der laut ist und ruckelt und wackelt und die Leute schauen sich gegenseitig nicht an, ich Starre immer ein bisschen zu sehr. Perfekter Soundtrack fürs Metro-Fahren ist übrigens Jan Jelineks Loop-Finding Jazz Records, wie ich seit heute weiss. Dann zu Fuss von der Station zum Hotel, immernoch ist alles ziemlich laut und richtig und im Village die vielen Brownstones mit den hohen Treppen, kleine Strassen, praktisch an jeder Ecke Marc Jacobs, die Magnolia Bakery (zu dieser später mehr). Das Hotel liegt fast direkt am Wasser, die Lobby ist alt und schön und ich werde von einem richtigen bellman begrüsst, der mir auf dem Weg zum Zimmer von seiner Ex-Freundin erzählt und davon, dass mein Koffer sich sehr leicht rollen lasse, und von Volkswagen und vom Beetle und von Ferdinand Porsche, den er verehrt.
[2] Von hier sind es etwa drei Kilometer bis zu Motorino auf der East-12th-Street. Die 30 Minuten vergehen sehr schnell, der Weg vom Village nach Midtown über die 12th Street ist sehr entspannt, vorbei an vielen schönen Wohnhäusern, bis man schliesslich hinter den NYU-Dorms auf ein eher unscheinbares Ladenlokal stösst. Motorino gibt es jetzt auch in Manhattan, ein angenehm unprätentiöser Italiener mit fantastischer Pizza und okayen Preisen. Ich habe mich für das daily special entschieden, eine Pizza mit Frühlingszwiebeln, Pecorino und hausgemachter Tomatensauce. Es ist noch recht früh, der kleine Laden verhältnismässig leer, ausser mir ist noch ein junger Mann da, der sehr sympathisch aussieht und zum Nachtisch ein Stück Schokoladenkuchen bestellt. Am Nebentisch sitzt eine Familie mit zwei jungen Kindern, die sich die leftovers einpacken lassen. Später werden noch kleine Kerzen auf den Tischen verteilt. In der Dämmerung noch schnell einen Kaffee bei Think und Mini-Cupcakes bei Melissa holen und dann wieder zu Fuss in Richtung Hotel, es wird langsam dunkel, eine Frau fragt mich nach dem Weg, eine andere Frau fragt mich, ob ich Randy sei. New York. Perfekter Soundtrack fürs Rumlatschen: Erykah Badu.
»Er war ein großer Mann mit langsamen Körperbewegungen und einer großen Liebe zu Taxis.«
»Ziehen Sie Ihren Sessel näher und geben Sie mir meine Geige; wir haben nämlich noch immer ein Problem zu lösen, und zwar, wie wir uns diese trüben Herbstabende vertreiben können.«
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