(i think) he was a journalist

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Washington. Aus Versehen in der völlig falschen Ecke gelandet, und zwar in Georgetown. Obwohl ich mir doch ziemlich sicher war, die richtige Adresse in das geborgte Navigationsteil eingegeben zu haben. Egal, war trotzdem sehr schön dort. Als ich die M street entlangschlürfte, fiel mir auch ein, dass R. mir den Stadtteil zum sog. shoppen empfohlen hatte, falls ich darauf Wert legen würde. Würde ich natürlich nicht, aber zum blossen Schlürfen ist es an einem sonnigen Samstag wie diesem dennoch sehr schön. Die Häuser der Nachbarschaft sind alle pretty, ein besseres Wort fällt mir dafür nicht ein, manche sind ein bisschen schief, fast alle ziemlich alt, und vom Style her eher europäisch, also aus Stein und nicht aus Holz. Vor manchen sah ich Männer und Frauen mittleren Alters kleine Flächen mit Blumen bepflanzen, ein Mann hat um einen Baum herum Ziegelsteine eingebuddelt. Ich wollte davon eigentlich heimlich ein Foto schiessen, habe mich dann aber doch nicht getraut. Weitere Fotos, die ich an diesem Wochenende nicht gemacht habe: der Neuseeländer aus dem Hostel (von Beruf Landvermesser, wie ich später erfuhr), den ich am Abend beim Heimkommen schon gesehen und bewundert hatte, mit dem ich am nächsten Morgen deswegen bewusst ein Gespräch angefangen habe. Seine Brille, seine dunkelbraunen Haare, sein Körper generell. Der junge Mann im Cafe neben mir. Das Cafe war eigentlich kein Cafe, sondern Starbucks, und ich habe mich durch Zufall neben ihn gesetzt, weil alle Tische bereits besetzt waren. Er las in einem Buch, ich versuchte für etwa zwei Minuten umständlich, meine bescheuerte Salatschüssel aus Plastik aufzumachen, bis ich bemerkte, dass ich, wie eigentlich immer in solchen Situationen, Gewalt anwenden musste, um zum Ziel zu gelangen. Ich starrte ihn wohl ziemlich oft ziemlich eindringlich an, was mir natürlich bewusst war, mich jedoch nicht vom Starren abhalten sollte. Er trug ebenfalls Brille, hatte ausserdem ein bisschen gekräuselte Haare, ebenfalls dunkelbraun. Und das tollste war eigentlich sein Mund. Ausserdem spielte er dauernd mit der linken Hand an seinem linken Ohr herum, während er las, was mich ihn hat sofort heiraten lassen wollen. Selbstverständlich wurde aus unserer Heirat nichts, da ich mich nicht getraut habe, ein Gespräch anzufangen. Stattdessen habe ich wie ein total geistesgestörter aus dem grossen Fenster auf die inzwischen schon dunkle M street geglotzt und versucht, mich nicht noch ein zweites Mal innerhalb von zehn Sekunden nach dem Unbekannten mit der Brille umzugucken. Am Ende bin ich gegangen, ohne etwas gesagt zu haben, worüber ich mich selbstverständlich noch jetzt, zwei Tage später, wahnsinnig ärgere. Ich gehöre zu dieser Sorte Mensch, die bei solchen Gelegenheiten davon ausgehen, wahrscheinlich die Chance ihres Lebens verpasst zu haben. Wäre vielleicht auch kein schlechter Vorsatz für dieses Jahr gewesen: begehrenswerter werden.


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